Frauen und Männer, so gerne sie sich auf einander beziehen, haben häufig mit vielen Vorbehalten und Verletzungen zu kämpfen, die sie in Konflikte mit dem anderen Geschlecht bringen. Wie können wir Brücken schlagen?
Neulich habe ich in einer Gruppensitzung erlebt, wie sich Männer und Frauen ihre Erfahrungen von Gewalt und Missbrauch erst erzählt, dann vorgehalten haben. Männer beklagten sich über Mütter und Partnerinnen, Frauen über Väter und Partner. Es ging um Vergewaltigung, Prügel, emotionalen Missbrauch, von Müttern gewollte Entfremdung der Kinder von ihren Vätern und vieles mehr.
In der Gruppenstimmung kam ein „wir gegen die“ auf: Männer gegen Frauen, Frauen gegen Männer. Geschlechterkampf eben. Jeder hatte gute Argumente und jede Menge Leiden auf seiner Seite, und der jeweilige andere wollte sich keinesfalls eine pauschale Beschuldigung (durch Generalisierungen wie „alle Männer“ – „die Frauen“) gefallen lassen. Eine Brücke der Verständigung schien schwierig.
Wir haben dann folgende Übung gemacht:
Männer und Frauen haben sich je in einer Reihe gegenüber gesetzt. Dann haben die Frauen und Männer jeweils im Wechsel an die anderen oder an einzelne andere Fragen gestellt. Antworten waren nicht erlaubt.
Wenn nicht geantwortet wird und es so auch keinen Rechtfertigungsdruck gibt, können die Fragen immer persönlicher und freier werden. Die Fragen werden mehr zu einer Offenbarung des Fragestellers. Entsprechend schwer war es für manche, die wirklich relevanten Fragen auch zu stellen. Es scheint jedoch leichter zu sein, die Fragen zu stellen, wenn keine Antwort kommt und so auch kein „Aber….“ zu erwarten ist. Die Frage wird einfach stehen gelassen. Der/die Fragende wird nicht in Frage gestellt. Dem Eingangsthema entsprechend und wegen der Gegenüberstellung von Männern und Frauen waren die Fragen alle dem einen Themenfeld „Beziehung zwischen Männern und Frauen“ angesiedelt: Liebe, Beziehung, Sex, Anerkennung, Verständnis usw.
(Ich habe diese Übung auch in anderen Kontexten schon gemacht, mit einem ähnlichen Ergebnis von mehr und mehr Nähe und Offenheit.)
Den Teilnehmern wurde so ohne eine weitere Erklärung deutlich, wie verletzlich alle Anwesenden sind. Es entstand über das Verstehen und Fühlen eine Atmosphäre von Gewaltfreiheit, die nicht davon abhängig war, dass alle der gleichen Meinung sein müssen, sondern sich eher daraus entwickelte, dass sich jeder, so weit er wollte, über die Fragen von sich selbst etwas preisgab. Das war so schön, dass sich alle wünschten, diese Übung zu wiederholen.