Widerstände

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Widerständen gegen das Leben und dem Wunsch, sein Leben zu gestalten?

Seit Jahren beschäftige ich mich mit der Spannung, die sich entwickelt, wenn man etwas will. Ich wollte immer viel in meinem Leben: etwas erreichen, mich verändern, mich verbessern. Nach und nach wurde mir klar, dass ich mit dem Willen nur wenig von dem erreichen kann, was mir im Innersten wichtig erscheint – genauer gesagt: gar nichts. Statt dessen erhöhen Wünsche und Streben meine innere Spannung.

Der Wille reicht gut aus, etwas zu planen und den Plan durchzuführen, z.B. meine Praxis zu renovieren. Ich kann mit dem Willen aber nichts dazu beitragen, beim Renovieren auch noch zufrieden zu sein. Dazu braucht es einen anderen Zustand, nicht den der Willensanstrengung.

Keinen Widerstand leisten gegen das, was ist

In meinem Leben habe ich ein paar spezielle Erfahrungen gemacht, die mich gelehrt haben, dass es zu einer Zufriedenheit, zu einem Daseinsglück führt, wenn ich dem, was ist, keinen Widerstand entgegen setze.

Zwei Erfahrungen kann ich hier einmal herausgreifen:

Bei einer Wildwasserfahrt konnte ich mich nicht mehr im Boot halten, und ich bin über Bord gegangen. Der Fluss war enorm stark, und der Kraft war natürlich nichts entgegen zu setzen. Ich geriet also in eine „Waschmaschine“, wo es mich unter Wasser ständig herumwirbelte. Anfangs dachte ich noch logisch nach: Wenn ich ausatme, dann steigen die Blasen auf, und wenn ich den Blasen folge, dann komme ich an die Wasseroberfläche. Dann merkte ich, dass die Blasen nach unten fielen, oder zu Seite trieben, überallhin gleichzeitig. So war da kein Durchkommen zur Oberfläche. Der Fluss machte sowieso mit mir, was er wollte. Und schließlich wurde meine Luft knapp. Ich erinnere mich an einen Anflug von Panik, denn ich wollte nicht ertrinken. Doch dann geschah etwas, das ich als Loslassen oder Hingabe beschreibe: In einem speziellen Moment wurde mir klar, dass ich der Macht des Flusses nichts entgegen zu setzen hatte. Ich konnte mich nur dem Fluss überlassen und nichts weiter tun. Da ließ etwas in mir los. Irgendwie war das paradox, da ich einerseits leben wollte, aber andererseits das Leben jetzt darin bestand, auch sterben zu können, wenn der Fluss das „wollte“. In diesem Augenblick wurde alles in mir friedlich. Eine Gelassenheit ohne jede Angst oder Anspannung breitete sich aus.

Vor Jahren bekam ich die schwierige Diagnose einer bedrohlichen Erkrankung. Ich konnte sehr gut beobachten, was dann in mir geschah. In den ersten 2 Stunden war ich mächtig im Widerstand! In mir breitete sich eine Dumpfheit aus, eine Art Benommenheit. Ich erinnere mich daran, dass ich nicht krank sein wollte, und wie ich mit den Zahlen der Prognosewahrscheinlichkeiten, die mir die Ärzte mitteilten, pokerte. Ich wollte nicht glauben, was ich selbst in den Untersuchungsergebnissen gesehen hatte, und ich fand es ungerecht und zu früh, so eine Erkrankung zu haben, und überhaupt war ich im Trotz gegen die Wirklichkeit. Zeitweise war ich zynisch. Dann wurde ich traurig. Ich ließ die Traurigkeit zu, und so schluchzte ich hemmungslos. Das war ein Prozess des Loslassens. Nach einer Weile wurde ich sehr ruhig und zufrieden. Heute würde ich sagen: Ich befand mich einem Zustand der Hingabe an das, was ist. Dieser Zustand hat über Wochen angehalten. Es war, als ob ich auf ganz verschiedenen Ebenen funktionierte. Die Ebene des Verstandes beschäftigte sich mit den Therapiemöglichkeiten. Es gab Entscheidungen zu treffen. Da war ich so rational wie möglich. Auf der anderen Ebene war ich mit allem einverstanden: Mit dem Tod, mit dem Leben, möglichen Folgen der Therapie oder mit den Schmerzen der Behandlung. Ich war mit allen Gefühlen einverstanden, mit den Zuständen meiner Familie und Freunde und mit meinen eigenen Zuständen. Es war ein sehr friedlicher, glücklicher Zustand. Ohne Euphorie, einfach gelöst und einverstanden mit dem Leben, wie es ist. Er hat mein Leben und mein Arbeiten verändert.

Ich kann beobachten, wie sich der Widerstand gegen das Leben in meinem Leben auswirkt

Im Alltag, in allem, was ich tue, beobachte ich, wie sich der Widerstand gegen das Leben, so wie es ist, in mir auswirkt. Während einer Tätigkeit z.B. merke ich, dass ich etwas anderes will, als das, was ist. Das ist offensichtlich ganz normal. Jeder macht oder erfährt das so. Es macht unzufrieden und traurig und führt zu inneren Spannungen. Es führt zu Anstrengungen, Bemühungen und so zu mehr Anspannungen. Es führt so zu körperlichen Symptomen, die wir als psychosomatische Reaktionen beschreiben.

Hingabe …

Alle Wege, die ich gefunden habe, die sich mit diesen Themen beschäftigen, führen zu einem: Hingabe.

Hingabe bedeutet, zu sehen, was ist. Mit dem zu sein, was ist. Hingabe bedeutet, die tatsächliche Realität anzuerkennen. Hingabe heißt, das Leben zu leben, und sich nicht gegen das Leben zu stellen.

Es geht aber nicht darum, Bewegungs- oder Veränderungsimpulse zu ignorieren. Stattdessen geht es darum, wahr zu nehmen und mit dem zu sein, was ist. Wenn ich nass werde und es wahr nehme, und auch wahr nehme, dass es mir gerade nicht gefällt, dann stelle ich mich bei Regenwetter eben unter…

… und Wu Wei …

Das entspricht dem Wu Wei des Taoismus: „Nichts machen und nichts wegmachen“ (wörtlich kann wu wei als „nicht-handeln“ übersetzt werden). Je länger ich Wu Wei und Hingabe betrachte, desto klarer wird mir der Unterschied zum Widerstand auf der einen Seite und zu einem Desinteresse und zum Phlegmatismus auf der anderen Seite.

… Üben

Das ganze Leben ist eine Gelegenheit, diese Haltung als Praxis zu üben. In meinen Begegnungen mit Patienten und in den Gruppen oder Workshops, die ich anbiete, weise ich auf das gemeinsame Üben hin, manchmal mit speziellen Übungen.