Kann ich einen anderen – in der Psychotherapie oder in einer Gruppe – emotional nähren und versorgen? Oder muss ich diese Erwartung nicht ablehnen und enttäuschen?
Wer „versorgt“ in der Therapie?
In diesen Tagen habe ich Protest in einer Gruppe ausgelöst, als ich vehement vertrat, dass ich niemanden nähre und versorge. (Manchmal versteige ich mich sogar zu der Behauptung, dass ich niemandem helfe.)
Der Protest rührt daher, dass die Gruppenteilnehmer viele Male gesättigt und erfüllt aus der Therapiegruppe nach Hause gegangen sind. Aber wer hat sie genährt oder versorgt?
Sicher nicht ich! Das Gefühl von Sättigung entsteht aber dennoch. Die Gruppe, nein, der Gruppenprozess, wird als erfüllend erlebt. Zumindest unter bestimmten Bedingungen. Die Bedingungen sind z.B. Dasein, sich zeigen, in Kontakt mit den anderen sein, in Verbindung mit sich sein, lebendig sein mit allen Gefühlen.
Das ließ sich auch in der Gruppensitzung, in der ich den Protest erntete, wieder nachvollziehen. Eine Teilnehmerin, die zunächst aussprach, dass sie von den anderen genährt werden wollte und Kontakt brauche, erntete Zurückhaltung, die von den anderen TeilnehmerInnen formuliert wurde.
Der Kontakt zu den eigenen Gefühlen ist ein Türöffner
Als sie aber in sich eine Seite entdeckte, die sich selbst abwertete („Du machst alles falsch!“), darüber auch traurig war, und gleichzeitig von uns anderen nichts erwartet, öffneten wir uns ihrem Bedürfnis (Diese Seite kam zum Vorschein, als sie die Zurückhaltung der anderen wahr nahm und auch ich über die unerwünschten Wirkungen der Formulierung ihres Anspruches sprach, was einigermaßen schwierig war für sie. Zum Glück war sie eine schon sehr fortgeschrittene Teilnehmerin!). Eine Frau hat diese Öffnung für sie stellvertretend und sehr berührend dadurch ausgedrückt, dass sie sich zu ihr setzte und ihr erzählte, dass sie das auch von sich selbst kenne. Das tat ihr – und allen – sehr gut. Die ganzen Gruppenatmosphäre änderte sich, und die Teilnehmerin war von dem Prozess sehr berührt und brauchte danach auch nichts weiter mehr von der Gruppe – sie war gesättigt.
Diese Teilnehmerin fragte dann, ob sie sich denn immer in solch einer Verzweiflung oder in einem Defizit zeigen müsse, um mit den anderen in diesen Kontakt zu kommen. Ich verneinte dass, denn ich fühle mich auch in den Kontakt eingeladen, wenn sie lacht oder vielleicht flirtet – das ist sogar besonders schön!
Einladungen zum Kontakt mit anderen
Es lädt mich vor allem in einen Kontakt ein, wenn von mir nichts erwartet wird, aber der andere mit sich da ist. Sobald etwas von uns erwartet wird, z.B. eine bestimmte Reaktion zu zeigen, zu der wir quasi verpflichtet werden – das haben wir in dieser Gruppe herausgefunden – fühlen wir oft Widerstand und verschließen uns eher.
Nähre ich also jemanden? Versorge ich PatientInnen?
Meine Antwort lautet „Nein“. Ich bin aber gerne im Kontakt. Wenn ich in Verbindung bin mit dem oder den Gegenüber, freue ich mich. Das halte ich für zutiefst menschlich. Wenn Verbindung geschieht, geschieht das, was wir Erfüllung, Versorgung oder (Er-)Nährung nennen – ohne, dass das einer machen muss. Es geschieht einfach! Wir brauchen es nur zu fühlen – und können es genießen. Das erleben wir dann auch als Hilfe – die ich nicht mache!