Ein paar Gedanken zum Wesen von Spiritualität
Was ist spirituell?
Ich nenne die Erfahrung von Ehrfurcht und Erhabenheit spirituell. Diese Erfahrung (von Ehrfurcht) wird dadurch spirituell, dass mir die Unbedeutendheit und vielleicht sogar die Nichtigkeit (d.h. die Nichtexistenz) des eigenen Ichs klar wird.
Ich-Losigkeit und Achtsamkeit
Diese Nicht-Existenz des Ichs ist keine Verleugnung des Ichs, keine Abwertung, sondern die Erfahrung, dass das, was sich (oder ich) „Ich“ nennen könnte, in der unmittelbar erlebten Verbindung mit allem, was da ist, auflöst. Es löst sich dabei natürlich nicht das Ich selbst auf (was bedeuten würde, es hätte ein Ich gegeben, das sich auflösen könnte, so wie ein Stück Würfelzucker im Kaffee), sondern die Erkenntnis, dass das „Ich“ immer nur eine Konstruktion war, gewinnt die Oberhand – oft in einem Durchbruchserlebnis. Die Nicht-Existenz des „Ichs“ wird klar, während weiterhin Wahrnehmungen bestehen. Diesen Prozess, diese Erfahrung, kann man Achtsamkeit oder Meditation nennen. Etwas, das nicht gemacht werden kann, sondern erst entsteht, wenn ich nichts mehr mache. In diesem Sinne kann man überhaupt gar nicht meditieren, und wenn man sich noch so sehr dafür ins Zeug legte, was ja bedeuten würde, dass man etwas tut. Man kann sich lediglich hinsetzen und wahrnehmen und dann erfahren, dass Achtsamkeit geschieht. So, wie ich ja Ehrfurcht nicht produzieren kann, sondern spontan erlebe.
Hier kommt dann die Erfahrung von Ruhe und Frieden hinzu, die ich als einen integralen Bestandteil von Spiritualität sehe, wie auch Ekstase, ein Außer-sich-sein, das eigentlich ein Ohne-ich-sein meint.
Psychologie der Masse
Die Abgrenzung zu Phänomenen der Massenpsychologie wie sie bei Großereignissen im Sport, Demonstrationen oder politischen Massenveranstaltungen auftreten, besteht darin, dass es in einer spirituelle Erfahrung keine Masse braucht, um die Ehrfurcht zu erzeugen oder zu erleben. Auch geht es nicht um Gedanken wie „wir“ und „die anderen“ (oft sogar: wir gegen die anderen). In der Spiritualität braucht es kein „wir“, das nur die Vergrößerung des eigenen „Ichs“ zu sein scheint, ein gemeinsames Groß-Ich, ein geteiltes Mega-Ego.
Und Religionen?
In Religionen gibt es etwas zu glauben. Man muss etwas für wahr halten, Geschichten und Erzählungen für echt und richtig halten. Spiritualität zeichnet sich dadurch aus, dass man nichts glauben muss, sondern alles in aller wissenschaftlicher Redlichkeit erfahren und testen kann. Es geht also um empirisch erfahrbare Wahrnehmungen.