Eine Liste, die das Leben freudvoller macht
Eine muntere Entdeckung
Als ich an meiner Doktorarbeit bastelte – ein Unternehmen übrigens, das mich von der Illusion befreite, es könne schön sein, an einer Universitätsklinik zu arbeiten – habe ich eine Entdeckung gemacht.
Damals gab es immer wieder Tage, in denen ich in eine trübe Stimmung verfiel. An solchen Tagen fiel es mir schwer, mich an irgendetwas zu erinnern, das mich in einen freudigeren und aktiveren Zustand befördern könnte.
An den anderen Tagen mit ausgelassener Stimmung blitzten hingegen mehr gute Ideen auf, als ich je hätte umsetzen können. In einem munteren Zustand hatte ich jede Menge Einfälle, was ich unternehmen könnte, was mir jetzt gut tun würde und was mir Freude bereiten dürfte.
Ein Vorrat an guten Ideen: die Kreativitäts-Speisekammer
Mir kam die Idee, mir einen Vorrat an guten Ideen, an Unternehmenslust und kleinen Vorhaben anzulegen, eine Speisekammer für schlechte Zeiten eben, mit kleinen Snacks für sofort, aber auch mit den Zutaten für ein mehrtägiges rauschendes Fest für hundert Gäste.
Ich begann eine Liste anzulegen, auf die ich alles schrieb, was mir an Ideen kam. Diese Liste – sie ging bei einem Umzug verloren – war eine Reihe von orange-gelben Blättern, die immer offen auf meinem Schreibtisch lagen. Jederzeit konnte ich etwas dazu schreiben und nach 2 Jahren hatte ich wohl hunderte von kleinen und großen Vorschlägen darauf geschrieben.
Das waren ganz kleine Snacks, wie z.B. mir meinen Lieblingstee zu kochen oder in die benachbarte Kneipe zu gehen, wo bei einem preiswerten Bier die lokale Gemeinde Fussballspiele anschaute und man nicht alleine war. Da standen aber auch große Menüs auf der Liste, wie etwas eine mehrwöchige Gebirgstour alleine durch Schottland oder durch die Anden, die der ausführlichen Planung und Vorbereitung bedurfte.
Vieles auf der Liste kam dazu, weil ich es schon ausprobiert hatte und daher wusste, dass es schön war. Manches war nur eine Idee, von der ich annahm, dass es mir richtig gut gefallen würde.
Der Kopf denkt zustandsabhängig
Auf diese Weise habe ich herausgefunden, dass unser Kopf zustandsabhängig denkt. In guten Zuständen haben wir zu ganz anderen Quellen Zugang. In schlechten Zuständen ist das Denken stark eingeengt, in Ängsten in die Enge besonders drängend – das Wort „Angst“ und das Wort „eng“ haben die gleiche Wurzel.
Gewalterfahrungen sind besonders schädlich für die Kreativität
Menschen mit Gewalterfahrungen können oft nicht die ganze Bandbreite ihres Denkens für kreatives Arbeiten, Lernen oder auch nur Genuss nutzen. Ein Teil der geistigen Kapazität, vielleicht 30%, ist ständig mit der Hab-Acht-Stellung beschäftigt. Deswegen lautet ein wichtiger Rat in der Entwicklung von ganzen Staaten: Hört auf, die Kinder zu schlagen, stoppt Gewalt auf allen Ebenen. Dann können alle zu kreativeren Einfällen kommen, besser lernen, mehr Freude erleben und lebenswertere Bedingungen schaffen – nicht nur wegen der äußeren Umstände, sondern auch weil das Gehirn sich besser entfalten kann.
Spielen statt Druck und Zwang
In guten Zuständen sind wir kreativer, humorvoller, lebendiger im Geist. In der Kreativ-Branche wird das genutzt. Die Mitarbeiter, die einfallsreiche Lösungen erfinden sollen, dürfen spielen, miteinander oder auch alleine, in Spielzimmern, an der Tischtennisplatte, im Lego-Raum. So wird ein anderer Gehirnzustand gefördert, in dem der Kopf spielerisch auf Ideen kommt.
Ein kreativer Zustand kann nicht erzwungen werden. Zwang arbeitet mit Ängsten, und dann schrumpelt das Denkvermögen, die Einfallskraft und die Freude daran zu einem bloßen Schatten seiner selbst – unter aller Augen und im Zeitraffer, denn das geht rasant schnell. Lasst uns einmal darüber nachdenken, was Notendruck und andere Zwänge in der Schule mit den Köpfen der Kinder machen! Die kreativsten Lösungen und die wertvollsten Lernerfahrungen entstehen nach meiner Beobachtung in der Schule bei Tätigkeiten in der Theater-AG, der Schülerzeitung, in der Band oder in anderen Projekten, die nicht benotet werden. Eine „Leistung“ wird dennoch erbracht, auch wenn sich alles in mir sträubt, dann genau dieses Wort „Leistung“ dafür zu verwenden. Und die Schule ist nur ein einziges Modell: die Liste entsprechender Beispiele kann jeder für sich in allen Lebensbereichen bei der Arbeit oder in der Freizeit leicht aufstellen.
Erstelle Deine eigene Lebenskünstlerliste!
Für mich ist der kreative Umgang mit seinen Möglichkeiten Einfälle zur eigenen Freude und Lebenslust umzusetzen das Markenzeichen von Lebenskunst.
Meinen Patienten empfehle ich, eine Lebenskünstlerliste zu beginnen und über Jahre hinweg zu pflegen. Die Liste soll immer offen und zugänglich sein. Alles, was schön war, auch manches aus dem Dankbarkeitstagebuch, und alles, was gerade an Ideen kommt, schreibt man darauf.
An schlechten Tagen, an denen einem nichts mehr einfällt, kann man sich von der Liste erinnern lassen. Fast immer ist die passive Erinnerung an eine Möglichkeit, wie man den z.B. depressiven Zustand verändern kann, hilfreich, und sie ist in jedem Fall um vieles einfacher, als etwas aktiv zu erdenken.
Vielleicht klappt es nicht immer. Sicher klappt das nicht immer. Aber die Erfahrung lehrt mich, dass das Lesen einer solchen Liste, die man selbst erstellt hat, die Seiten in uns anspricht und aktiviert, die die Kraft entfalten können, etwas Gutes für uns zu unternehmen. Genau das Wohltuende eben, das uns nicht einfällt, wenn wir in einem miesen Zustand vor uns hin dümpeln, einfallslos und einfältig. Die bereits ausformulierten Einfälle vergangener Tage helfen, dass sich das Lebendigere in uns wieder entfaltet und ausdehnt – Kreativ-Yoga unter Anleitung quasi.