Alle wollen jemand sein, jemand besonderes sein. Was macht das mit uns und unserem Sein in der Welt?
Etwas besonderes oder Jemand besonderes sein: Das ist ein weit verbreiteter Wunsch. Ich habe noch keinen getroffen, der nichts besonderes sein wollte. Dieser Wunsch wird gefördert und ausgebeutet – und bedeutet Leiden für alle.
Unsere Kultur fördert den Wunsch, etwas besonderes zu sein
Das ist ja offensichtlich. Überall werden wir aufgefordert, unsere Individualität zu entwickeln. Unsere Eltern wollten in uns etwas besonderes sehen und haben uns darin bekräftigt. „Du bist mein Schatz!“ Das nicht zu sagen, träfe nirgendwo auf Verständnis. Wir schaffen uns etwas an – ein Haus, eine Reise, einen Partner – um etwas besonderes sein. Der Partner soll uns darin bestätigen, dass wir besonders sind.
„Ich liebe Dich!“
Deswegen sagen wir „Ich liebe Dich!“. Das macht den anderen und uns selbst zu etwas besonderem für einander. Es meint ja, dass ich Dich besonders liebe, mehr als alle anderen, und von Dir auch ganz besonders geliebt werden will. Der Deal ist, dass wir einander zu etwas besonderem machen. Warum machen wir das?
Angst, alleine zu sein
Es geht darum, dass wir Angst haben, alleine zu sein, Außenseiter, Liegengelassene, Abgestellte. Also ganz verlassen zu sein. Da hilft dieser Deal. Wenn man etwas besonderes ist, wird man nicht verlassen. Den Schatz lässt man nicht liegen. Wenn er verloren geht, sucht man ihn, oder kämpft gar um ihn. Nur mit einem Schatz ist man selbst etwas wert. Es ist wie bei Gollum: „Mein Schatz!“ Wir tun alles dafür, etwas besonderes sein, um nicht verlassen zu werden. Dies ist das schlimmste Gefühl, auf das ich in meinen Gesprächen stoße. Es ist wie sterben.
Der Wunsch, etwas besonderes sein zu wollen, wird ausgebeutet
Wer immer Macht über uns haben will, wird den Wunsch, etwas besonderes sein zu wollen, zu einem noch größeren Bedürfnis machen, um uns dann ausbeuten zu können. Die Werbung nutzt es ganz klar: Mit diesem Produkt setzt Du Dich ab aus der Masse (der Verlierer).
Oder jemand sagt uns: Wenn Du das oder jenes nicht tust, so wie ich es will, bist Du nichts besonderes mehr für mich. Und hat uns damit in der Hand, solange wir etwas besonderes sein wollen. Oder umgekehrt: Wer Macht über einen anderen haben will, macht den anderen zu etwas besonderem. Das passiert natürlich in Beziehungen oder mit Kindern die ganze Zeit.
Zugehörigkeit und der Wunsch, jemand besonderes sein zu wollen
Interessanterweise ist der Wunsch, etwas besonderes sein zu wollen, vom Wunsch der Zugehörigkeit getrieben. Wir wollen zur In-Group gehören und keine Außenseiter sein. Und so unterwerfen wir uns der Notwendigkeit, etwas besonderes sein zu müssen, damit wir dazugehören. Wir setzen uns von den vielen anderen ab, um zu den wenigen dazu zu gehören. Das kann ich überall beobachten: beim Wahlverhalten, in der Familie, in der Schule, im Verein.
Das ist aber schon ein wenig paradox. Da tut man etwas, um sich von anderen abzugrenzen, um dazu zu gehören! So konstruieren wir die Welt um uns herum.
Trennung bedeutet Leiden
Jemand besonderes sein zu wollen und zu müssen, bedeutet Leiden. Es bewirkt Leiden. Das kann man leicht spüren. Das Besondere führt zur Trennung. Unausweichlich. Wenn es als das Besondere gemacht wird, also ich mich oder jemanden anderen zu etwas besonderem mache. Genau betrachtet ist ja jeder schon in seiner bloßen Existenz etwas besonderes. Wir werden nämlich niemals 2 genau gleiche Wesen finden, also sind alle Wesen kraft ihrer Existenz etwas besonderes.
Sich oder andere zu etwas besonders machen zu wollen, schafft aber eine Abtrennung:
Da bin ich, der etwas besonderes ist, und deswegen von den anderen getrennt ist, die nicht diese Besonderheit aufweisen, also eine Masse sind. Mit diesem Wunsch nach Besonderheit nehme ich mich heraus. Oder jemanden anderen. Das ist Trennung. Wer da hin spürt, kann das Leiden wahrnehmen, das darin liegt. Unweigerlich, unvermeidbar. Dann versuchen wir, diesem Schmerz zu entgehen, um durch das Besondere für jemanden wertvoll zu sein. Wenn das Arrangement gelingt, ist der Schmerz erst einmal gebannt, aber die Angst lauert, den Schatz oder den Status eines Schatzes zu verlieren.
Die Welt geht am besonderen zugrunde
Wenn wir uns umsehen, dann sehen wir, wie viel Ressourcen wir brauchen, um etwas besonderes zu sein. Und die anderen auf Distanz zu halten. Der allergrößte Teil der Wirtschaft hat nichts damit zu tun, dass wir gemütlicher oder sicherer leben, sondern damit, dass wir uns von den anderen absetzen wollen, um unserer Angst, alleine da zu stehen, zu entgehen.
Psychotherapie: Den Wunsch nach der Besonderheit erforschen
In meinen Gesprächen und Gruppen untersuchen wir diese Stelle des Besonders-sein- wollens immer wieder. Vielen wird klar, wie sie an dieser Stelle selbst dafür sorgen, dass sie Leid in ihr Leben bringen, ohne recht einen Ausweg zu finden.
Wir sind einzigartig, ohne das wir uns oder andere zu jemand besonderem machen
Wir sind von Natur aus einzigartig. Es gibt keinen Grund, das sein zu wollen, denn es ist einfach so. Wenn ich versuche, mich zu dem zu machen, was ich schon bin, ist das reichlich absurd. Wenn wir uns als einzigartig wahr nehmen können und alle anderen als einzigartig sehen können, ohne, das irgend jemand etwas dafür tut, dann können wir das trennende und ausgrenzende Handeln, uns und andere zu etwas besonderem zu machen, beenden. Damit beenden wir das Leid, das damit einher geht. Wir fördern damit das natürliche Gefühl der Verbundenheit.
Alles ist mit allem verbunden
Kann ich also sehen, wie ich jemanden zu etwas besonderem mache? Kann ich sehen, wie ich damit Macht über den anstrebe und bekomme? Kann ich spüren, wie ich mich selbst dem Bedürfnis ausliefere, jemand (ganz) besonderes zu sein? Kann ich wahr nehmen, dass ich mit diesem Kontrollversuch meiner Angst zu entkommen versuche? Kann ich mit einem Partner zusammen leben, und sich gegenseitig in seinem So-Sein sehen und in seiner Entfaltung fördern, in dem wir herausfinden, was miteinander möglich ist, anstatt mit Macht- und Abhängigkeitsspielen des Besonderen Leiden zu schaffen?
In den Therapie oder in den Gruppen können wir das genau untersuchen und die Konsequenzen erfahren. Auch die Meditation ist ein kraftvoller Weg aus dieser Sackgasse heraus.
Alles ist mit allem verbunden. Wer das sehen und erfahren kann, fühlt sich nie mehr alleine, und muss sich nie wieder darum kümmern, etwas besonderes zu sein, um seiner Angst, nicht dazuzugehören, etwas entgegen zu setzen. Die Angst ist ganz einfach verschwunden. Und man kann sich bewusst sein, dass man ganz einfach und etwas leisten zu müssen, ein individueller Ausdruck des Universums ist.
Das ist befreiend. So fühlt sich Freiheit an.