Hoffnung „vermitteln“ oder „geben“ gilt als Wirkfaktor in der Psychotherapie. Ist Hoffnung vielleicht nur palliativ wirksam? Kann Hoffnung ein Segen sein? Oder eher ein Übel? Darüber wird schon seit Jahrtausenden gestritten.
Hoffnung ist zwiespältig: In der Büchse der Pandora befindet sich auch die Hoffnung
In den letzten Wochen habe ich mit Gruppen und Einzelnen über Hoffnung nachgedacht. „Du kannst immer noch hoffen!“ kommt als Rat, „Die Hoffnung stirbt zuletzt!“ kommt als Warnung.
Ich habe zur Hoffnung ein zwiespältiges Verhältnis. Genauso zwiespältig kann die Haltung zur Hoffnung gesehen werden, wie sie im griechischen Pandora-Mythos zu erkennen ist, der von Hesiod vor vielleicht 2700 Jahren beschrieben wurde. Zumindest die Interpretationen sind zwiespältig.
Hesiod erzählt, dass Zeus beschloss, sich an den Menschen zu rächen, nachdem sich Prometheus erdreistet hatte, den Göttern das Feuer zu „stehlen“ und es den Menschen zu geben. Sie schufen also Pandora. Pandora kann interpretiert werden als „die, die alles gibt“ oder als „die, der alles gegeben wurde“, also als reich ausgestattete Frau. Sie bringt den Menschen die Büchse der Pandora, in der die Götter alle Abscheulichkeiten und alles Übel dieser Welt untergebracht hatten, vor allem Krankheit und Tod – und die Hoffnung! Die Menschen öffnen die Büchse und das Übel gerät in die Welt. Sie versuchen, die Büchse zu schließen, aber nur die Hoffnung bleibt im Gefäß, alles andere ist schon in die Welt entkommen.
Man kann unterschiedliche Lesarten finden, diesen Mythos zu verstehen. Eine Interpretation ist, dass die Hoffnung dort alles noch verschlimmert, wo sowieso nur das Übel herrscht, also die Hoffnung auf Besserung gegen alles bessere Wissen. Sie ist deswegen ein weiteres Übel, denn sie führt zu einer Täuschung.
Eine andere Deutung ist, dass die Hoffnung als Trost mit dazu gereicht wurde, aber leider in der Büchse verblieb, also nicht wirksam werden kann.
Hoffnung „auf“ entwertet das Leben jetzt
Ich sehe Hoffnung häufiger als Selbsttäuschung. Menschen hoffen vielleicht auf einen Lottogewinn. Und spielen wieder und wieder. Das macht das Leben jetzt wertloser, denn man setzt ja seine Hoffnung auf irgendeine Zukunft, die so (nahezu immer) nicht eintritt. Das Leben im Hier und Jetzt ist nicht gut, und wird gar zugunsten einer sehnsüchtigen Hoffnung aufgegeben. Träume werden anstelle der Realität gesetzt. Das klingt für mich ausgesprochen traurig.
Hoffnung ist so der Versuch, das was jetzt ist, weg zu machen. Durch Hoffnung soll der Schmerz gelindert werden. „Ich hoffe auf Heilung.“ Hoffnung ist damit eine Möglichkeit, etwas weg zu machen – statt es anzuerkennen. Das Gegenstück zu dieser Art von Hoffnung wäre dann: Ich nehme es so, wie es ist.
Der chinesische Mönch nimmt dem General seine Macht
Hierzu fällt mir eine schöne chinesische Geschichte ein: Ein General überzieht das Land mit Krieg und erobert eine Siedlung nach der anderen. Die Klöster macht er dem Erdboden gleich und die Mönche tötet er. Sein Hauptmann berichtet, dass sie wieder eine Stadt eingenommen hätten. Die Bewohner hätten sich ergeben und die Mönche seien alle geflohen. Nur Mönch sei im Kloster zurückgeblieben. Wutentbrannt stapft der General zum Kloster und sieht tatsächlich den Mönch mitten im Klosterhof. Zornig fährt er den Mönch an: „Du bist also noch hier! Weißt Du denn nicht, wer ich bin? Ich könnte Dich – ohne mit der Wimper zu zucken – mit einem Schwerthieb töten!“ Der Mönch entgegnet: „Weißt Du denn nicht, wer ich bin? Ich könnte mich – ohne mit der Wimper zu zucken – von Dir mit einem Schwerthieb töten lassen.“ Der General verneigt sich und verlässt das Kloster.
Dieser Mönch hat keine Hoffnung, möchte ich meinen. Er ist völlig im Hier und Jetzt und dadurch nicht mehr zu terrorisieren.
Zuversicht: eine innere Gelassenheit
Zuversicht hat für mich eine andere Bedeutung (und so kann vermutlich auch das Wort „Hoffnung“, aber nicht der Begriff „Hoffnung auf“ verstanden werden):
Bei Zuversicht geht es um eine innere Haltung der Gelassenheit. Es mag kommen, was will, im Inneren herrscht Ruhe und Frieden – eben Zuversicht. Man kann angesichts des Todes Zuversicht bewahren. So wie vor kurzem der Vater einer Freundin, der wusste, dass er stirbt und gleichzeitig voller Zuversicht war.
So könnte man in Abwandlung des Dante-Zitates sagen: Lasst alle Hoffnung fahren – und seid zuversichtlich!
PS: Entwicklung von der Verehrung des Weiblichen hin zum Partriarchat
Mir gefällt noch eine andere Interpretation des Mythos der Pandora. Hesiod kann als früher Verfechter des Patriarchats gesehen werden. Deswegen erfährt Pandora durch ihn eine Umdeutung zu einer Frau, die das Schlechte auf die Welt bringt. Ursprünglich – in der Phase vor dem Patriarchat, in einer Gesellschaft, die nach zahlreichen archäologischen Belegen zwischen Männern und Frauen viel gleichwertiger funktioniert hat – wurde die Weiblichkeit verehrt als einen Archetypus, ein Wesen, das alles schenkt.