Ein schlechtes Gewissen wird oft benutzt, um andere schmerzhafte Gefühle nicht zu spüren
Das „Schlechte Gewissen“ ist ein häufiges Thema in den Aussagen der Menschen, mit denen ich arbeite. Erst heute wieder hat sich eine ganze Gruppe gewünscht, sich diesem Thema zu widmen.
Ich möchte zunächst ein paar Unterscheidungen treffen, die mir das Denken darüber erleichtern:
Das Schlechte Gewissen ist für mich eine innere Instanz, die darauf achtet, ob wir noch zur Gruppe gehören. Das ist sehr praktisch für Familien und größere Gruppen, denn der einzelne muss nicht durch die Gemeinschaft kontrolliert werden, die Kontrolle findet in ihm selbst statt. Das Schlechte Gewissen schlägt an, wenn man etwas tut, was nicht zu den Gruppenregeln passt: In unserer Gruppe wird nicht gestohlen. Wenn ich doch stehle, rührt sich mein Schlechtes Gewissen. Das Schlechte Gewissen passt sich dem Tun und den Gewohnheiten an, man kann also durchaus die Gruppe im Sinne des Schlechten Gewissens wechseln. Wenn man Taschendieb werden will, muss man das Klauen anfangen, und im Laufe der Zeit gehört man dann zur Gruppe der Taschendiebe, es gibt dann kein Schlechtes Gewissen mehr beim Stehlen.
Gewissen ist – so würde ich es beschreiben – eine etwas andere Instanz, die weiter gefasst werden kann als eine Art innerer Moral oder ein inneres Wissen von dem, was für einen selbst richtig und stimmig ist. Sein Gewissen befragt man bei bestimmten ethischen Fragen, z.B. wenn es im klassischen Fall um die Frage des Tyrannenmordes geht. Hier resultiert dann auch ein „Hier stehe ich und kann nicht anders“ eines Martin Luthers vor dem Kaiser. Danach zu handeln oder nicht zu handeln geht oft mit einem Ringen einher. Das Gewissen kann im Gegensatz zum Schlechten Gewissen nicht zur Manipulation eingesetzt werden.
Der Innere Kritiker ist ein weiteres Konstrukt, um einen inneren Anteil zu benennen, der darüber wacht, ob ich meinen (selbst gewählten) Ansprüchen genüge, nicht notwendigerweise denen einer Gruppe. Er entspricht damit vielleicht einem Schlechten Gewissen sich selbst gegenüber (anstelle eines Schlechten Gewissens, das der Gruppenzugehörigkeit dient).
Es gibt Überlappungen der verschiedenen Gedankenkonstrukte, und sicher kann man die einzelnen Begriffe auch anders beschreiben.
Ein Schlechtes Gewissen und daran anknüpfende Schuld- und Schamgefühle können hervorragend zur Manipulation verwendet werden.
Sie werden deswegen gerne in Herrschaftssystemen benutzt. Das können Familien, Religionen oder andere Herrschaftssysteme sein. Wenn man dann mittels eines Schlechten Gewissens manipuliert wird, muss man keine Verantwortung tragen, und das ist ja auch der Sinn von Regeln und Gesetzen: Die Individuen sollen folgen, keine eigene Verantwortung tragen.
Im Innenleben eines Menschen werden das Schlechte Gewissen und Selbstvorwürfe benutzt, um Gefühle zu manipulieren.
Anstatt einer Traurigkeit habe ich dann z.B. ein Schlechtes Gewissen. Eine junge Mutter schilderte, dass sie sich vom Vater der gemeinsamen Tochter getrennt hatte. Deswegen entwickelte sie ein Schlechtes Gewissen gegenüber der Tochter, die traurig war: „Ich habe ihr diesen Schmerz angetan und das ist unrecht.“
Ich fühle das so, dass die Hinwendung zur eigenen Traurigkeit, die im Kontakt mit der Traurigkeit der Tochter entsteht, zu einem Prozess führt, das Schlechte Gewissen zu mindern. Es ist in meiner Wahrnehmung sogar so, dass mein Schlechtes Gewissen sofort komplett verschwindet, wenn ich meine Traurigkeit fühle und zulasse, ich also im Kontakt mit mir bin, und vielleicht sogar im Kontakt mit dem Gegenüber (hier der Tochter), wenn ich also da bin und eine Begegnung erfahre, sogar, wenn ich jetzt erkennen sollte, dass meine Entscheidung falsch war!
Diese Gedanken muss keiner glauben, jeder kann das in seiner Erfahrung selbst erforschen. Ich rege zu dem Experiment an, bei einem Schlechten Gewissen nach einem darunter liegenden Gefühl zu forschen, das gespürt werden kann und will.