Eine der häufigsten Vorschläge, die ich meinen Patienten mache, ist die Führung eines Dankbarkeitstagebuchs. Manchmal wird es auch Glückstagebuch genannt:
„Jeden Abend schreiben Sie 5 Erfahrungen oder Entdeckungen des Tages in Ihr Dankbarkeitstagebuch. 5 Erfahrungen von Zufriedenheit, von Glück, von Dankbarkeit. Etwas, das schön war für Sie. Etwas, was für Sie eine Bedeutung hatte. Sie können das schöne Gespräch mit der Nachbarin anführen, oder die leckere Tasse Kaffee. Und genauso auch etwas Großes, die bestandene Prüfung zum Beispiel. Es müssen aber 5 verschiedene Erfahrungen sein. Jeden Tag.“
Wenn Leute sehr depressiv sind, muss man den Brotkorb tief hängen, dann werden es kleine Dinge sein, beispielsweise die Tasse Kaffee, die man bewusst genossen hat, wenn das Glück einen gerade verfolgt, können es bedeutsamere Erfahrungen sein.
Diese Übung gilt unter all den Techniken, die von Glücksforschern unter die Lupe genommen wurden, als die wirksamste, die getestet wurde. Sie ist bei Depressiven wirksamer als antidepressive Medikamente.
Das Prinzip folgt der Aufmerksamkeitslenkung: Das Gefühl folgt dem Fokus der Aufmerksamkeit, weswegen wir in einer Komödie lachen und heiter werden, in einer Tragödie betrübt. Der Regisseur lädt ein, den Aufmerksamkeitsfokus immer wieder zu wechseln, was einen interessanten Film ausmacht, mit vielen verschiedenen Gefühlen, da unser Gefühl dem Fokus folgt.
Das geht in alle Richtungen: Ein Horrorfokus lädt zu Horrorgefühlen ein, ein Humorfokus zum Lachen.
Dieses Prinzip kann man auch mit der Handykamera praktizieren: Du machst immer dann ein Foto, wenn Du merkst, dass dies gerade eine schöne Situation war, für die Du dankbar bist. Zwar ist der Gesprächspartner schon weg, wenn Du darüber nachdenkst, aber dann fotografierst Du eben die beiden Espressotassen auf dem Tisch. Am Abend gehst Du durch die Fotos, erinnerst Dich noch einmal bewusst an die Gefühle, und behältst am Ende der Woche vielleicht noch eines oder zwei. Das sind am Ende des Jahres dann 50 – 100.
Ich habe auch sonst noch ein wenig damit experimentiert. Manchen Patienten habe ich zum Beispiel zur Stärkung des Selbstwertgefühls ein „Selbst-Anerkennungs-Tagebuch“ empfohlen. Das hat auch richtig gut funktioniert. Hier schreibt man einfach 5 Dinge auf, für die man sich am Tag Anerkennung zollt. Vielleicht wäre auch ein Selbst-Mitgefühls-Tagebuch hilfreich?
Der Anstoß zu diesen Ideen kommt von dieser Quelle: Um die Jahrtausendwende stieß ich auf den Artikel
Fava, G., et al.: „Well-being therapy: A novel psychotherapeutic approach for residual symptoms of affective disorders.“
Psychological Medicine, 28, S. 275-480, 1998
Hier wird das Prinzip erläutert. Ich habe es dann gleich ausprobiert. Denn entweder hilft eine Übung, dann kann ich sie ja auch selbst praktizieren, oder sie taugt nichts, dann sollte ich sie auch niemandem anderen vorschlagen. Es funktioniert wirklich gut! Schon alleine, dass ich sah, dass mir jeden Tag eines Jahres etwas einfiel, war ziemlich beeindruckend. Niemand muss abwarten und erst depressiv werden, bevor diese Übung ihre Wirkung entfaltet.