Vor kurzem habe ich einen Kurs in Yoga besucht. Der Lehrer (Jörg Müller) hat eine ganz eigene Art, auf die Lebendigkeit im Kontakt mit sich und seinem Körper hinzuweisen. Es ging in den Lehrstunden viel um die Achtsamkeit auf Körperbewegungen, während wir alle möglichen Übungen machten, die Kraft und Balance beinhalteten, oder auch während wir einfach saßen: Wie kommt der Bewegungsimpuls von hier nach dort? Wie geschieht es, dass ich mein Bein bewege, meine Hüfte, meine Brust und dann den Kopf hebe? Wie ist die Kette der Impulse und Veränderungen? Welches Leben entdecke ich in der Meditation?
Er hat darauf hingewiesen, dass es um Lebendigkeit geht, in allem und eben auch in allen Bewegungen.
Der Yoga ist wie das Leben: Es geht nicht darum, eine bestimmte Stellung, eine Form einzunehmen und darin zu verharren. Auch ein Yoga-Asana ist nicht eine einzunehmende Haltung, sondern ein lebendiger Prozess. Es geht eher darum, sich zu bewegen, und im Verlauf der Bewegung in Lebendigkeit kann man dann eventuell feststellen, dass man in und durch eine Form geglitten ist – getanzt ist – die man auch schon einmal auf einem Foto gesehen hat und die sogar einen Namen bekommen hat. Vielleicht hat man die Bewegung auch verlangsamt, fast bis zum Stillstand, und dann ganz zarte Veränderungen bemerkt.
Im Leben kann man, wenn man lebendig sein will, auch nicht in einer Form verharren. In gar keiner Form! Genau genommen verharrt nicht einmal der Tod in einer Form und Starrheit, sondern es tritt auch hier Veränderung (Verwesung) ein. Um so weniger kann das Leben in eine Form gepresst werden.
So oft klagen meine Patienten darüber, dass sie nicht in bestimmten Gefühlen (=feste Form!) verharren können: „Ich verliere immer wieder diese Freude!“. „Und schon wieder bin ich traurig geworden (so ein Mist aber auch….)!“
Ich entgegne, dass wir damit das Leid herstellen: ich will etwas festhalten, was der Lebendigkeit unterliegt und veränderlich ist. Das stellt Schmerzen her: „Warum ist das jetzt so und nicht anders?“ „Ich will das aber so!“. Und schon leidet man.
Gefühle fließen durch uns hindurch, jedes Gefühl vielleicht viele Male am Tag: von der Freude beim Streicheln der Katze über die Frustration über den Tatzenhieb zum Vergnügen am Essen und den Schmerz im Rücken usw. Bei Kindern kann man das besonders gut beobachten, denn die stellen sich den Gefühlen noch nicht entgegen, sondern lassen sie einfach durch sich hindurch fließen, so wie sie eben kommen.
So ist das lebendige Leben: keine feste Form, eine beständige Veränderung. Wenn wir die Gefühle fließen lassen, kann sich dahinter ein Gefühl von Lebendigkeit auftun, das eine Art stillen Frieden beinhaltet, auch mit den Gefühlen von Wut und Trauer etc. Ich würde daher sagen, dass es darum geht, das Lebendige zu genießen und zu feiern, mit allen Facetten.
In der Psychotherapie, wie ich sie verstehe, kann man den Gefühlen und der Lebendigkeit in sich Raum geben. So kann man erforschen, was dann passiert, vielleicht auch gerade im Gegensatz zur Erstarrung in bestimmten Zuständen, die oftmals dazu führt, dass sich Menschen bei mir melden. Psychotherapie ist dann ein Prozess, das Leben mehr und mehr fließen zu lassen. Das ist heilsam.
Mehr zum Thema Lebendigkeit gibt’s hier.