Ablenkungen werden häufig gesucht und dann beklagt. Wie erkennt man Ablenkungen?
Mit einem Patienten habe ich über Ablenkungen nachgedacht. Er entdeckte bei sich eine Tendenz, sich „abzulenken“, vor allem durch Computerspiele, Flirten und Sport.
Wir haben uns gefragt: Wovon lenkt er sich da ab, und wie unterscheidet sich bei ihm eine Joggingrunde, die nicht dem Ablenken dient von einer, die eine Ablenkung ist?
Die Ablenkung bezieht sich auf sich selbst. Man lenkt sich von sich selbst ab, vom Kontakt mit sich selbst, vom ganz und gar dasein. Damit ist das Dasein hier im Körper, in den Gefühlen (allen Gefühlen!) und in den Wahrnehmungen gemeint.
Entsprechend ist es gar nicht so schwer, eine Tätigkeit einmal als Ablenkung und die gleiche Tätigkeit ein anderes Mal als Lebendigkeit und Ausdruck von Lebensfreude zu unterscheiden: Spürt man sich, fühlt man sich integriert und vollständig, ganz da, bei sich? Oder rückt man von sich weg, um etwas zu vermeiden z.B.? Beamt man sich mit etwas weg?
Auch Psychotherapie kann als Ablenkung dienen. Manchmal geht es nämlich um Psychotherapie statt Veränderung (und nicht um Psychotherapie zur Veränderung).
Im Kontakt mit dem Gegenüber ist das oft recht gut wahr zu nehmen: Wenn beide da sind, ist Kontakt möglich. Wenn einer weggebeamt ist, ist der Kontakt dürftig oder verdämmert ganz. Einer der häufigsten Gründe, sich abzulenken und weg zu beamen besteht in den schmerzlichen Gefühlen. Die mag man nicht fühlen, also ist Ablenkung die Methode der Wahl (demnach auch Psychotherapie als Ablenkung?). Wenn aber jemand den Mut hat, sich mit seinem Schmerz zu fühlen und zu zeigen, entsteht eine starke Präsenz, eine starke Verbindung und damit auch eine wunderbare Fülle im Kontakt.
Seltsamerweise (nein, gar nicht so seltsam) werden in vielen Treffen nicht nur schmerzhafte Gefühle sondern sogar allgemein als wünschenswert betrachtete Gefühle wie Freude, Liebe oder Lust vermieden. Auch das Zeigen dieser Gefühle führt nämlich zu einer Verbindung. Und dies bedeutet eine Öffnung und Verletzlichkeit, die viele auch gerne vermeiden.
In meiner Psychotherapie lade ich gerne zum Fühlen und dem gemeinsamen Dasein mit den Gefühlen ein. Ich bin auch selbst da mit meinen Gefühlen. So kann es zu einer Begegnung miteinander kommen, die sich jedesmal frisch und neu anfühlt – und heilsam wirkt.