Gibt es ein Ich? Ist das Ich eine innere Instanz, die wir benutzen, um uns von allem anderen zu trennen?
Neulich hat Jesper angeregt, beim gemeinsamen Sitzen (Zen) der Frage nachzugehen: Wo ist das Ich?
Ich und Individualität
Wir können uns das eigene Sein ohne ein Ich gar nicht vorstellen. Wir deuten auf uns selbst mit dem Finger und sagen: „Hier bin ich. Hier ist mein Ich.“ Selbst, wenn wir uns die Welt nach unserem Tod vorstellen, kommen wir als imaginäre Beobachter in diesem Szenario vor, das wir aus unseren Augen sehen.
Alles mögliche ändert sich im Leben, aber wir erleben die eigene Daseins-Kontinuität im Ich. Ich bin der, der das damals erlebt hat, und ich bin heute, wenn auch älter und verändert, immer noch derselbe oder dasselbe Ich.
Wir werden von Eltern zum Individuum erzogen und bekommen ganz früh mitgeteilt, dass wir ein Ich sind: „Du bist Michael“ – „Ah, ich bin Michael.“ Wir entfalten unsere Ichigkeit in der Individuation, und lernen, uns von den anderen abzugrenzen.
Wenn wir Kontakt mit anderen haben, dann haben verschiedene Ichs miteinander Kontakt. Wir können uns zu einem Wir zusammentun, und wenn wir nachsehen, dann besteht das Wir aus Ichs.
Ich und Ego
In der Ich-Psychologie, einer Entwicklung der Psychoanalyse, werden dem Ich als Instanz bestimmte Funktionen zugeordnet, z.B. die Überprüfung der Realität, aber auch die Abwehrmechanismen, wie z.B. Verdrängung. Wir können damit urteilen, denken und in Beziehung zu anderen Ichs treten. Im Ich sind wir autonom.
Der Begriff des Ego – zumindest im Deutschen – will einen spirituell gefassten Zustand der Ichbezogenheit beschreiben, dem man der Einheitserfahrung gegenüberstellt.
(Dann gibt es noch den schillernden Begriffs des Selbst, der in vielen Schulen ganz unterschiedlich definiert wird. Ich benutze ihn oft in der Unterscheidung des wahren und des falschen Selbst, also der Unterscheidung dessen, was und wie man im Kern ist, von dem, was man als Hülle oder Maske vorgibt zu sein.)
Trennung als Funktion des Ich
Nun sieht sich das Ich in quasi jedweder Form als Gegenüber des oder der anderen. Es trennt: das bin ich, das bin ich nicht. Es benutzt Begriffe von mein, dein, mich, mir etc. um die Trennung zu zementieren. Es fühlt sich außerordentlich leicht bedroht. Die Angst vor dem Tod ist die Angst vor dem Ende des Ichs: Die Trennung vom Leben. Das Ich „hat“ ganz viel: Ich habe ein Leben, eine Frau, eine Arbeit, ein Haus. Das ist meins, nichts deins: Wieder eine Trennung.
Das Ich ist nicht
In dieser Meditation mit Jesper habe ich eine interessante eigene Erfahrung mit der Frage „Wo ist das Ich?“ gemacht. In einem Augenblick unangestrengten Daseins in der Wahrnehmung dessen, was ist (ich meditiere derzeit mit offenen Augen) habe ich bemerkt, das sich das Ich aufgelöst hat. Wenn Achtsamkeit da ist, die man auch Präsenz nennen kann, dann gibt es kein Ich. Das ist ziemlich unspektakulär. Es gibt kein Ich, das achtsam sein könnte, oder das meditiert. Achtsamkeit und Meditation sind einfach. Da ist auch Unterscheidung, aber keine Trennung. Einheit ist. Sie kommt schlicht und unaufgeregt daher. Wenn Ich sie packen oder herstellen will, scheitert Ich.