Ausprobieren und Erkennen in der Gruppentherapie
Neulich besprachen wir in der Gruppentherapie das Thema einer Patientin, die sich gegen Lösungsvorschläge und Ratschläge, gegen Bewertungen und gegen ein „Da musst Du einfach …. “ in der Gruppe wandte. Da konnten die meisten gut mitschwingen. Auf die Frage einer Mitpatientin, was sie denn jetzt stattdessen brauche, fiel es ihr aber schwer, eine Antwort zu finden. Sie konnte es nicht genau fühlen und nicht recht erkennen, was ihr im Moment gut tun würde.
Zuerst dachte ich daran, dass wir einen Experimentalraum öffnen könnten, um dem Gefühl, was denn jetzt richtig und gut sei, näher zu kommen. Dazu könnte man allerlei ausprobieren, z.B. in einem Raum ohne Worte für vielleicht 15-30 Minuten. Jeder könnte in den Interaktionen mit den anderen oder aber für sich alleine spüren, wonach ihm oder ihr ist, etwas ausprobieren, also experimentieren, und so ergründen, wie es möglichst schön, geborgen, gemütlich oder was auch immer für einen selbst werden kann.
Das kann einerseits Spass machen. Andererseits kann diese Einladung zum Erforschen in manchen etwas auslösen wie „ich muss alles selbst machen“, wenn sie sich doch eigentlich eine Versorgung wünschen.
Menschen geraten mit ihren Themen gelegentlich in Zustände, die man regressiv nennt, in denen sie quasi im Fühlen, Denken und Verhalten zumindest in Teilaspekten ihrer Person in jüngere Lebensalter eintauchen. Das kann dann vielleicht ein Alter berühren, das einem Säugling entspricht. Ein Säugling kann zwar schreien, aber nicht genau sagen, was er will. Wenn dann etwas geschieht wie stillen oder getragen werden oder Windel wechseln bemerkt er, das ihm das gut tut, und er wird ruhig, aber nur, wenn auch das Richtige geschieht: Klar, dass Windeln wechseln nicht gegen Hunger hilft!
In der Therapie werden solche Zustände einerseits gefördert, andererseits auch gefürchtet. Manchmal reicht schon die Tatsache, überhaupt nur in die Therapiesitzung zu gehen, schon als Einladung aus, in einen regressiven Zustand zu kommen, noch bevor ein Kontakt mit dem Gegenüber stattfindet. Ein Verharren in regressiven Zuständen kann sich sehr ungünstig auf den Patienten, der dann meist schmerzliche Folgen zu tragen hat, und auch auf die Zusammenarbeit auswirken.
In unserer Sitzung bekam die Patientin eine Einladung von einer anderen Patientin, sich zu ihr zu setzen. Sie sagte nicht direkt und sofort „Ja“, fragte aber kurz danach autonom und aktiv selbst nach, ob sie sich zu einer (anderen) Teilnehmerin setzen könne.
Ein weiterer Teilnehmer gesellte sich dazu, und ich selbst verließ auch meinen Platz, und setzte mich, indem ich mich auf einen inneren Impuls verließ, neben eine andere Teilnehmerin.
In dieser Konstellation änderte sich fühlbar das Klima in der Gruppe. Wo vorher Mangel war, erlebten wir jetzt Fülle.
Wie kommt es zu dieser Veränderung?
Wir haben das gemeinsam erforscht.
Für manche war es die Erfahrung von Körperkontakt, der zu dem Gefühl von Fülle durch nährende Nähe führte. Für manche war es die Erfahrung, verstanden zu werden. Für andere war es die Erfahrung, gut für sich selbst sorgen zu können. Für mich war es die Erfahrung, dem nachzugehen, wonach mir ist, das Folgen eines inneren Impulses, der sich stimmig anfühlte.
In der Arbeit mit Erwachsenen gehe ich prinzipiell von der Möglichkeit aus, das man für sich sorgen kann, auch in der Therapie. Ich kann für mich sorgen, und das tut mir gut, und ich ermuntere die Patienten dazu, für sich zu sorgen. Selbst wenn ein Teil von uns sich ganz klein und wie ein hilfloses Kind fühlt, gibt es den erwachsenen Teil an seiner Seite. Der erwachsene Teil kann den kindlichen Teil fragen, unterstützen, mit ihm freundlich umgehen. Er kann ihn an die vielen Möglichkeiten erinnern, die man als Erwachsener hat, die Wahlfreiheiten.
Das Handeln in diesen Freiheiten fühlt sich meist satt und füllig an.