Wir brauchen keine Erinnerungskultur, wir brauchen eine Empathiekultur!
„Wir fordern eine Entschuldigung!“
Vor ein paar Tagen habe ich die Schlagzeile gelesen: Spanische Eroberer: Mexiko fordert eine Entschuldigung von Spanien und dem Vatikan.
Nun haben die Kolonialisierung und Eroberung anderer Länder so gar nicht meine Sympathie. Für mich ist es offensichtliches Unrecht, in Gebiete einzufallen, Macht und Material für sich zu beanspruchen und die dort lebenden Menschen zu unterwerfen. Es ist gut, dass zumindest in Europa versucht wird, ein solches Vorgehen zu ächten und auch zu verhindern. Wenn auch nicht immer mit Erfolg.
Mit Erinnerungen sollen Menschen geführt und manipuliert werden
Nun scheint Erinnerung das probate Mittel, die Wiederholung solcher Vorfälle zu verhindern: Wir erinnern uns an den 1. oder 2. Weltkrieg, wir erinnern an die Ermordung von Juden, Homosexuellen, Andersdenkenden im Naziregime, wir gedenken aller möglicher Gräueltaten mit einem „Nie wieder!“ Die überfallenen Völker nutzen verschiedene Möglichkeiten oder die Gunst der Stunde, Entschuldigungen und Entschädigungen zu fordern. Alle Seiten kochen ihr Süppchen, mal im Guten mit besten Absichten, mal im Schlechten und nur zum eigenen Machterhalt, oft manipulativ, um Gefühle von verschiedenen Gruppe zu steuern.
Wie lange kann man solche Entschuldigungen fordern? 100 Jahre? Oder 500 Jahre? Könnten wir von den Italienern eine Entschuldigung fordern, dass sie einst – vor 2000 Jahren – Germanen und Kelten auf dem Gebiet des heuten Deutschlands unterwarfen?
Irgendwann wird diese Forderung absurd, oder?
Erinnerungen haben negative Konsequenzen
Mir ist aufgefallen, dass Erinnerungen und eine Erinnerungskultur auf beiden Seiten – der Seite der Opfer und auf der Seite der Täter – bedenkliche Folgen hat. Das kann man an allen Stellen der Welt beobachten. Die Erinnerungen werden genutzt, um Schmerzen, Gefühle von erlittenem Unrecht (ist eigentlich eine Geschichte und kein Gefühl), sogar Hass und Rachegelüste zu nähren und zu verstetigen. Meist stecken durchsichtige politische Umtriebe dahinter, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass sich so manche Konflikte über Generationen hinziehen, das Klima vergiften und als gerechte Kriegsgründe gelten.
Wenn wir keine Erinnerung hätten, gäbe es keine Traumata. Viele Schmerzen von Ungerechtigkeit, Zu-kurz-kommen, Wut – einfach weg! Mit einer Erinnerungskultur wird all das aufrecht erhalten.
Empathie statt Erinnerung
Wie wäre es, wenn wir uns statt in Erinnerung zu üben in Empathie übten? Wenn wir auf die Menschen „dort drüben“, auf der anderen Seite der Grenze, der Konfliktlinie, empathisch eingingen? Das würde gegen Krieg und Hassverbrechen helfen. Das gegenseitige Aufrechnen von „Das habt Ihr dann und dann getan“- „Aber Ihr habt das und das gemacht!“ könnte enden.
In Paaren oder Familien und zwischen (ehemaligen) Freunden passiert genau das gleiche. Manchmal wünsche ich mir eine gepflegte Amnesie für alle Beteiligten mit ihren Konflikten, die in meine Praxis getragen werden. Komplettes Vergessen der Geschichte, die zu den jetzt angeblich so berechtigten Gefühlen führte. Dann könnte man ganz empathisch, einfühlsam und sogar liebevoll mit dem Gegenüber und seinen Bedürfnissen umgehen.
Aber geht das nicht sogar, wenn und obwohl man die Geschichte kennt?
Ja, das geht, und dafür brauchen wir eine Empathiekultur, keine Erinnerungskultur, im Privaten wie auf der großen Weltbühne.