Wenn ich in einer Begegnung oder Beziehung nicht zu einem klaren „Nein“ finden kann, kann ich auch nicht „Ja“ sagen.
Neulich in der Gruppentherapie gab es eine kurze Sequenz zum Ja-Sagen und Nein-Sagen. Jemand aus der Gruppe berichtete, dass er immer wieder Beziehungsangebote bekommt. Und sich eigentlich ja auch eine Beziehung wünscht. Aber es ist ihm quasi unmöglich, die Angebote anzunehmen. Damit ist er unglücklich und bleibt so auch alleine.
Ohne ein „Nein“ ist eine gelungene Beziehung nicht möglich
Wir haben herausgefunden, dass es so schwierig ist, eine Beziehung einzugehen, weil in der Beziehung ein „Nein“ nicht mehr möglich erscheint: „Ich würde den anderen verletzen und darf mich das nicht trauen. Dann muss ich lauter Sachen machen, die ich gar nicht tun mag. Ich bin gefangen.“
Das „ja“ ist nur möglich, wenn auch ein „nein“ möglich ist. Sonst bleibt offenbar nur Totalverweigerung – und es droht Einsamkeit.
Mit Ja und Nein experimentieren: durch das Nein zum Ja
Das kann ich in verschiedenen Begegnungen nachvollziehen. In bestimmten Experimenten oder Übungen in der Psychotherapie weise ich manchmal darauf hin, dass ich „nein“ sage, wenn ich etwas nicht machen oder mitmachen mag. Ich bin für mich verantwortlich und sorge für mich. Dann frage ich den oder die anderen, ob sie das auch tun könnten. Dann ist jeder für sich verantwortlich. Dies ermöglicht ganz viel Bewegungsfreiheit, ganz viel „Ja“. Jeder kann dann etwas ausprobieren, ohne die eigene Beweglichkeit (zu stark) einzugrenzen. Jeder kann sich darauf verlassen, dass der andere auf sich achtet und dafür sorgt, dass es ihm gut geht, z.B. seine Grenzen des Wohlbefindens nicht überschritten werden, wenn er das nicht will. Das ist eine gute Grundlage für Spielfreude, Experimentiermöglichkeiten und neue Erfahrungen.
Auch für mich selbst ist es gut zu wissen, dass ich das „Nein“ zur Verfügung habe. Ich muss dann nicht „B“ sagen, wenn ich vorher schon „A“ gesagt habe. Ich kann also das „A“ ausprobieren. Und dann neu entscheiden, ob ich den nächsten Schritt gehen mag. Das macht frei. „Wer A sagt muss auch B sagen“ fesselt dagegen. „Dann sage ich lieber schon gar nicht A“. Wie schade ist das manchmal! Das „Ja“ ist erst dann gut möglich, wenn ein „Nein“ auch möglich ist. Hingabe ist erst möglich, wenn ich auch „Nein“ sagen kann. Wenn ich nicht gelernt habe, „Nein“ zu sagen, kann ich nie ein so vollständiges „Ja“ leben, das ich Hingabe nennen würde.
Ein zartes oder ein heftiges „Nein“?
In der Gruppe kam die Frage auf, ob das „Nein“ den anderen nicht verletzt. Ja, es kann natürlich Schmerzen auslösen. Ich muss die Verantwortung für mein „Nein“ und „Ja“ übernehmen, der andere für die Schmerzen, die er dann bei sich damit verknüpft. Erst neulich habe ich damit experimentiert, dass ein „Nein“ zu heftig sein kann. Es hätte z.B. eine Nummer kleiner völlig ausgereicht. Das passiert häufiger, wenn man sich seines „Nein“ nicht so sicher ist: Man reagiert heftig, ohne dass es so für den Zweck notwendig gewesen wäre.
Ein „Nein“ kann wunderbar zart sein. In einer Gruppe, die ich vor über 20 Jahren besuchte, hat mit eine Frau ein wunderschönes „Nein“ überbracht. Ich wollte Kontakt mit ihr. Sie nahm meine Hand und hat sie auf ihre Brust gelegt, mit ihren Händen darüber. Dann hat sie meine Hand auf meine eigene Brust geführt, ihre Hand darauf gelegt und sich dann aus dem Kontakt gelöst. Für mich ist dieser Kontakt zu einer Referenzerfahrung in Sachen „Nein“ geworden.
Wie schön wäre es, wenn wir klare und gleichzeitig charmante „Nein“ finden könnten. So ist vielleicht auch einfach eine neue Bewegung miteinander möglich, ohne dass die Begegnung abrupt enden muss.
Und wenn das „Nein“ nicht gehört wird oder in der formulierten Weise nicht fruchtet, dann kann und muss man zu heftigeren Varianten greifen. Bei Tieren kann man viel verschieden Varianten von „Nein“ beobachten, die situationsangepasst eingesetzt werden.
Ein Nein zu Dir ist ein Ja zu mir!
Das „Ja“ und das „Nein“ ist auch abhängig von der Perspektive. Jesper sagt immer, dass die Fliege, die zu meinem Patscher „Nein“ sagt und weg fliegt, „Ja“ zu ihrem Leben sagt. Aus den Oberbergkliniken habe ich gehört, dass die Patienten sagen lernen: „Ein Nein zu Dir ist ein Ja zu mir.“