„Gib deine Einsamkeit nicht einfach kampflos preis. Lass sie tiefer schneiden. Lass sie dich kochen und würzen, wie nur wenige menschliche oder göttliche Ingredienzien dies vermögen.“
Hafiz von Shiraz
Keiner will Schmerzen spüren. Das scheint vollkommen logisch. Wenn wir abstrakt darüber nachdenken, können wir bestimmte Schmerzen eventuell noch als Signal akzeptieren und uns z.B. um eine Wunde kümmern. Den Schmerz wollen wir dennoch lieber nicht spüren.
Mit der gleichen Ablehnung stehen wir den schmerzhaften Gefühlen gegenüber. Auch die wollen wir nicht spüren und halten das für selbstverständlich. Ein guter Teil der an mich gestellten Fragen lautet: „Wie werde ich dieses Gefühl los?“
Man kann einiges Sinnvolles zum Umgang mit unerwünschten Gefühlen sagen und Strategien empfehlen, die zu Veränderungen führen. An dieser Stelle möchte ich auf eine Möglichkeit hinweisen, mit Gefühlen umzugehen, ohne sie wegmachen zu wollen. Dabei geht es darum, das Gefühl ganz klar wahr zu nehmen und es dabei zu beobachten. Nicht mehr und nicht weniger. Das Gefühl kann dabei da sein, die ganze Zeit. Es ist quasi so, als würde ich das Gefühl in eine Meditation nehmen. Oder man kann es Hingabe nennen.
Das Besondere dabei ist, dass ein Gefühl, mit dem man so umgeht, nicht bleibt. Es verändert sich, etwas Neues entsteht.
Ein Gefühl, das bleiben soll, darf nicht nur beobachtet werden, es muss mit vielen Gedanken gefüttert werden. Das kann dadurch erreicht werden, dass man das Gefühl wieder los werden will und sich dagegen wehrt. Das ist immer mit vielen Gedanken verbunden: „Ich will das nicht! Schon wieder das! Wie lässt es sich ändern?“
Bevor Kinder lernen, Gefühle loswerden zu wollen, lassen sie die Gefühle in kindlicher Weise einfach da sein. Dann kommt es zu einem dauernden Fluss an Gefühlen, von der Freude übers Dreiradfahren zur Traurigkeit über den Schmerz beim Sturz über die Geborgenheit beim Trost durch die Oma über das Vergnügen beim Entdecken der spielenden Eichhörnchen über …. ein ständiger Wechsel. Erst später, durch Beschämungen („Heulsuse!“) oder Aufforderungen („jetzt wein‘ doch nicht!“) lernt das Kind, Gefühle weg zu machen.
Wenn es um psychische Symptome geht, ist es meist wichtig, sich wieder den Gefühlen so überlassen, wie sie auftauchen. Das bedeutet nicht unbedingt, sich bestimmten Handlungsimpulsen unreflektiert zu überlassen (bei Wut muss ich niemanden schlagen), sondern das Gefühl zu spüren. Gefühle sind zum Fühlen da. Das fühlt sich lebendig an. Das ist Lebendigkeit.
Kann sein – das ist sogar die Regel – dass das Angst macht, bestimmte Gefühle zu spüren. Angst vor der schmerzhaften Qualität von Einsamkeit, Hilflosigkeit, Traurigkeit, Verlassenheit und Ohnmacht z.B.
Viele haben sogar Angst vor der schmerzhaften Qualität von Liebe, einer innen gefühlten Öffnung, und verschließen deswegen lieber ihr Herz. Das ist, so scheint mir, ziemlich normal, wenn normal das ist, was jeder kennt und weit verbreitet ist.
Deswegen ermutige ich gerne mich und andere zum Spüren und zur Freude an der Lebendigkeit, die in allem Fühlen liegt.